Wie entstand unser Projekt

2003 wurde ich im Rahmen eines Projektes des Schweizerischen Katastrophenkorps von einer Delegation von Schweizer Chirurgen und Anästhesisten zur Förderung der Weiterbildung der Chirurgen in den peripheren Spitälern Eritreas mit eingeladen zur Beurteilung Trauma Versorgung. Nach einem Rotkreuz Einsatz im Yemen-Krieg 1970 hatte ich mit dieser Art von Pathologien bereits Erfahrungen gesammelt und damals erstmals Eritrea in Begleitung meiner Gattin bereist.
 
Jetzt wurde ich durch das grösste Trauma Spital in der Hauptstadt Asmara mit Unfallpatienten aus dem ganzen Land und durch das grösste Militärspital geführt, wo die meisten Kriegsversehrten behandelt wurden. Man traf auf eine Medizin, wie sie bei uns vor 1950 üblich gewesen war. Patienten mit Hüftfrakturen lagen in Extension und waren somit für 6 oder mehr Wochen ans Bett gebunden. Oft waren Fehlstellungen mit lebenslangem Hinken oder Gehunfähigkeit die Folge. Nicht selten heilten die Frakturen nicht. Infizierte, offene Knochenbrüche eiterten vor sich hin. Nur vier Orthopädisch-Traumatologische Chirurgen, die einzigen im Land, arbeiteten bis zur Erschöpfung in diesen zwei Spitälern und konnten die Probleme nicht bewältigen.
 
Ich beschloss, ein Projekt ins Leben zu rufen, in dem man den Eritreischen Kollegen mit Rat und Tat helfen könnte, unterstützt von der AO (Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen) in Davos. Mitbegründer der AO war mein verehrter, ehemaliger Chef im Inselspital Bern, Prof. M.E. Müller gewesen, der selber 1946, als 28 Jähriger, ein Jahr in Abessinien gearbeitet hatte. Wir sammelten in Schweizer Spitälern ausrangiertes Material zur Versorgung von Frakturen wie Nägel, Platten und Schrauben und schickten es mit Hilfe einer Eritreischen Gruppe aus der Schweiz ins Land. In meiner Klinik im Kantonsspital Freiburg gelang es mir, drei äusserst motivierte Mitarbeiter zur Gruppe von Ärzten zu gewinnen, die in den kommenden Jahren wiederholt in Asmara für eine Dauer von 6-8 Wochen mit voller Begeisterung tätig gewesen sind, einmal in Begleitung einer Operationsassistentin, der Gattin eines Kollegen, die System und Ordnung in den Operationssaal zu bringen versuchte. Heute sind alle drei Chef- und Leitende Ärzte in grossen Spitälern im Kanton Bern und Freiburg. Dazu kamen auch ein junger Oberarzt aus Chur und ein ehemaliger Chefarzt aus dem Kanton Solothurn. Persönlich war ich 6-mal in Eritrea tätig. Wir brachten ein Teaching mit für die Hüftfraktur- Patienten, welche ab jetzt operativ versorgt werden konnten; dies galt auch für die meisten anderen geläufigen Knochenbrüche und die ganze Traumatologie des Bewegungsapparates. Wir versuchten, den lokalen Chirurgen auch die Behandlung von Knochen-und Gelenksinfektionen, die Versorgung orthopädischer Missbildungen und arthrotischer Gelenke zu vermitteln-eines weiteren Bereichs unseres Gebietes also. Es war und ist uns ein Anliegen, nicht einfach selber zu operieren, sondern ihnen die Hand zu führen und im selbstständigen Entscheiden und Arbeiten zu leiten, ganz im Sinne der Nachhaltigkeit; wir glauben uns von vielen anderen, ähnlichen Projekten zu unterscheiden, in welchen örtliche Kollegen nicht so selten nur die Komplikationen und Erbschaften der «Gastärzte» zu behandeln aufgefordert sind. Weiter wurden auch die Operationsschwestern geschult; hier liegt der Hauptbedarf im organisatorischen Bereich und im Einhalten von sterilen Grundregeln.
 
Eine grosse Unterstützung von der Regierung konnten wir infolge fehlender Mittel nicht erwarten. Aber wir spürten, dass wir willkommen waren und wir wurden nicht behindert. Wir waren apolitisch! Von den vier Eritreischen Orthopäden verbrachten in der Folge drei, zusammen mit der OP Leiterin, einen zweimonatigen Weiterbildungs-Aufenthalt in unserem Spital in Freiburg und am Frakturen Kurs in Davos.
 
Einer von ihnen ist jetzt Dekan der Medizinischen Fakultät geworden, sodass er für die klinische Tätigkeit ausfällt. Doch wie es mit solchen Projekten in Entwicklungsländern ist; wenn man nicht ständig vor Ort ist, geht viel vergessen, was auch mit der schlechten Bezahlung des Personals und dadurch mangelnden Motivation zusammen hängt. Einen «Brain Drain» mussten wir glücklicherweise nicht erleben. Alle geschulten Orthopäden und Traumatologen blieben im Land.
 
Das Projekt ist auch eine einmalige Gelegenheit für junge Oberärzte aus unserem Land. Es täte jedem gut, während seiner Weiterbildungszeit, oder auch nach seiner Pensionierung zwei Monate in einer solchen «Mission» zu verbringen. Man hat dann einen ganz andere Toleranzschwelle gegenüber gewissen Unzulänglichkeiten im eigenen Spital, einmal in die Schweiz zurückgekehrt.
 
Wir haben über all die Jahre mehrmals beim DEZA angefragt, ob von dieser Stelle aus an unserem Projekt Interesse bestünde mit der Idee, in irgendeiner Form eine Unterstützung zu erhalten, sei es nur als bescheidene schweizerische «NGO» wahrgenommen zu werden. Eine Schweizer- Delegation war anfangs noch anwesend, wurde aber bald aus Eritrea abgezogen, womit jegliche Schweizer-Entwicklungshilfe für dieses Land aufgegeben wurde… Unsere Anfrage, warum man denn wohl bei der grossen und steigenden Zahl an Asylanten aus einem der ärmsten der Welt, Eritrea, nicht wieder etwas anbieten möchte, verhallte schon am Telefon bei einem der Mitarbeiter der Direktion. Wir gaben auf, blieben allerdings unbeirrt mit unserer Motivation, das Projekt selbstständig weiter zu tragen. Heute, im Rahmen der neu aufgerollten Diskussion, wo sich auch Politiker ernsthafte Fragen stellen, mag es für Involvierte und auch für die Öffentlichkeit zu erfahren von Interesse sein, was wir über all die Jahre versucht haben; dass es sich wohl lohnen könnte, einen Aspekt der Entwicklungshilfe, nämlich die medizinische Versorgung im Lande selbst zu beeinflussen, indem wir die Behandlungsmöglichkeiten für die Bevölkerung bei Verkehrs- und anderen Unfällen, inklusive dem Fahrrad Trauma, verbessern können. Ein Beitrag, mit dem wir eine Spur Schweiz nach Eritrea bringen.
 
Vor zwei Jahren haben wir eine Stiftung gegründet, die SETOFF (Schweizerisch-Eritreische Trauma-Ortho-Fellowship Foundation), die für Unterstützung empfänglich ist.
 
Mitentscheidend für unser stilles Wirken an dieser nicht unproblematischen, nordöstlichen Ecke Afrikas, ist die Tatsache, dass wir uns in diesem wunderbaren Land mit seiner Hauptstadt auf 2500 m ü. M. immer sehr sicher und wohl fühlen- Asmara gilt als die sicherste Afrikanische Hauptstadt- auch wenn man mal spät abends bei fehlendem Licht der Strassenlampen heim zur Africa Pension geht. Und das ist für unsere Delegierten wichtig. Einige wurden von ihrer Familie begleitet, welche sich unbehelligt, allerdings auf beschränkten Routen im Land bewegen konnten.
 
Roland P. Jakob, Prof. em., Môtier
 
Ehemaliger Chefarzt der Orthopädisch-Traumatologischen Klinik des Kantonsspitals Freiburg und Präsident der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen (AO Schweiz)